Stefan Dreizehnter

Change auf ostwestfälisch

Und plötzlich ging alles ganz schnell. Noch zum 90. Geburtstag von Paul Gauselmann hatte es so ausgesehen, als werde es auf absehbare Zeit keine Veränderungen in der Führungsstruktur des Konzerns geben. Im Gegenteil schien sich der Patriarch drauf eingerichtet zu haben, auf absehbare Zeit die Zügel weiter in der Hand zu halten. Aber wie nicht zu übersehen ist, wurden jetzt doch die Weichen in eine andere personelle Zukunft gestellt.

Auch wenn alles schnell ging – ohne Sinn für System und Signale verlief es nicht. Lars Felderhoff, der neue Vorstandssprecher und Finanzvorstand von Merkur.com, hat im doppelten Sinn Stallgeruch. Er ist Ostwestfale und hat eine Karriere im Konzern hinter sich. Er kennt die Region, das Unternehmen und die Branche. Was noch fehlt ist, dass die Branche ihn kennenlernt. Das ist wohl die größte Unbekannte in dieser Rochade und die wohl größte Lücke, die er füllen muss.

Zwei Urgesteine stehen ihm als Stellvertreter zur Seite, die diese Lücke relativieren. Jürgen Stühmeyer ist ein seit Jahrzehnten erfolgreicher und von allen Höhen und Tiefen gestählter Vertriebsvorstand. Er kennt den nationalen Markt und der Markt ihn, das internationale Terrain hat er sich erarbeitet.

Die Berufung von Manfred Stoffers, Vorstand Politik und Kommunikation, zum Stellvertreter ist vor allem deswegen so spannend, weil das Haus Merkur damit auch eindeutig seinen Anspruch auf eine politische Führungsrolle aufrechterhält. Bei Gauselmann versteht man sich eben nicht nur als Lieferant, sondern auch als politischer Leader. Diese seit Jahrzehnten kultivierte Doppelrolle soll bleiben.

Eine ganz große Überraschung für sich ist, dass Michael Gauselmann als Aufsichtsratsvorsitzender und Vorsitzender des Stiftungsvorstands der Familienstiftung in den sichtbaren Führungskreis des Konzerns zurückkehrt. Bis vor Kurzem schien das nach allem, was man dazu hörte, nahezu ausgeschlossen.

Ebenfalls als nahezu ausgeschlossen kann man die Erwartung abhaken, er werde sich mit diesen Positionen in die Rolle des stillen Beraters und Begleiters einfügen. Das liegt nicht in den familiären Genen. Dafür kommt er nicht zurück. Was hat er vor? „Mein Ziel ist es, den Vorstand schnell eigenverantwortlich agieren zu lassen, im Rahmen der zu vereinbarenden strategischen Ausrichtung und der vorzunehmenden Veränderungen. Um das zu erreichen, will und darf ich nicht operativ tätig werden”, sagte er dem Westfalen-Blatt. Das ist noch zu vage, um konkrete Schlüsse zu ziehen. Aber es steht ja alles noch auf Anfang. Kontinuität signalisiert der Einstieg von Michael Gauselmann auf jeden Fall sowohl für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Kunden von Merkur.com und für die Region, dass die Familie weiterhin die zentrale Rolle in dem Konzern spielt.

Und es bleibt weiter spannend. Wie der neue Vorstand Technik und Entwicklung, Christian Reinhard, seine Arbeit definiert, wird nicht ganz unwesentlich das Produktportfolio des Konzerns bestimmen. Ein neuer Vorstand für die Zukunftsfelder Online und Sportwette muss noch gefunden werden. Der Wandel ist noch nicht abgeschlossen. Aber es wurde auf ostwestfälisch ein solides Fundament gelegt, das auch den internationalen Stürmen standhalten sollte.

Stefan Dreizehnter

Chefredakteur games & business
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