Manfred Schlösser

Den Menschen mitnehmen

Jürgen Trümper, der verstorbene Vorsitzende des Arbeitskreises Glücksspielsucht, war einer der ersten, die öffentlich Alarm schlugen, weil das illegale Spiel grassiert. Seither reißt dieser Alarm nicht mehr ab. Das Land Nordrhein-Westfalen operiert gegen das illegale Spiel mit einem „Fun Game”-Erlass. Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung spricht von bis zu 50.000 illegalen Geldspielgeräten. Wissenschaftliche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass der Anteil des illegalen terrestrischen Spiels bei 30 Prozent liegt – Tendenz steigend. Online wurden 50 Prozent aller Spielaktivitäten auf illegalen Plattformen ermittelt, was auf 80 Prozent des Umsatzes hinausläuft. Wenn selbst der „Spiegel” über das illegale Spiel recherchiert und berichtet, dann haben wir ein Problem, das nicht ignoriert werden kann.

Aber genau das passiert. Es wird ignoriert – und zwar von der Politik. Schon im jüngsten Glücksspielreport der Bundesländer war von nur sieben Prozent illegalem Glücksspiel die Rede. Im aktuellen Evaluierungsreport für den Glücksspielstaatsvertrag sind es sogar nur noch sechs Prozent. Selbst Dr. Jörg Pietsch, Leiter des Arbeitsstabs des Drogenbeauftragten, meinte beim Kongress des „Behördenspiegels“ dazu, dass dies „nicht der Wahrnehmung unseres Hauses entspricht”. Trotzdem nehmen Glücksspiel-Survey und Glücksspielatlas vom illegalen Glücksspiel keine Notiz. Das ist, nicht nur wissenschaftlich gesehen, geradezu gespenstisch. Welch eine Ignoranz.

Oder hat es ganz einfach Methode? Wenn behördlich beharrlich nur von sechs Prozent illegalem Spiel gesprochen wird, dann heißt das doch: Wir haben kein Problem. Wir haben alles richtig gemacht. Wir müssen nichts ändern. Die Botschaft also lautet: Die Regulierungspolitik von Spielverordnung bis Glücksspielstaatsvertrag ist eine einzige Erfolgsgeschichte.

Aber das ist nicht nur eine politische Botschaft. Das ist vor allem das Lied der Verbots-Philosophen, die das legale Spiel ideologisch seit Jahren auf dem Kieker haben. Ihre angeblichen Spielerschutz-Instrumente taugen nichts. Denn da ist ja auch noch die unmündige Rasselbande der Spieler, die sich partout nicht schützen lassen will und sich lieber ins illegale Gebüsch schlägt. Kein Spielerschutz, massiver Verlust von Steuergeldern? Existenzvernichtung in der Automatenwirtschaft. Jobverluste en masse. Also doch alles ein Irrweg?

Dieser drängenden Frage dadurch zu entgehen, dass man ein Problem ignoriert oder kleinrechnet, wird nicht funktionieren. Denn wie lange wollen sich denn die Verkünder der 6-Prozent-Botschaft noch unglaubwürdig machen, ehe ihre angekratzte Reputation endgültig Schaden nimmt? Denn das Manöver ist durchschaubar. Es wird versucht einen Dammbruch zu verhindern, der in dem Moment passiert, an dem das dramatische Ausmaß des illegalen Spiels anerkannt wird. Dann stehen auf einen Schlag alle Restriktionen und deren Wirkung in Frage.

Das gesamte Regulierungs-System braucht also ein neues Selbstverständnis und neue Regeln. Dafür gibt es eigentlich schon ein richtiges Motto: Wer reguliert, muss immer auch die Ausweichbewegungen der Menschen mitdenken – sonst wird es ins Gegenteil umschlagen. So in etwa hat es Jürgen Trümper in einer seiner letzten großen Marktstudien formuliert. Man sollte sich daran erinnern – was Ideologen sichtlich schwerfällt.

Manfred Schlösser
Verleger games & business
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