Manfred Schlösser

Neidvolle Blicke

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los – auch einen Monat nach der ICE-Messe in Barcelona nicht. Vor dem Eingang Schlangengitter wie auf großen, internationalen Flughäfen. Zahlreiche und sehr freundliche helping hands, die einen geleiten, Karten scannen und eine gute Zeit wünschen. Über 50.000 Menschen füllen während der Messezeit die Hallen. Auf den Rolltreppen und Gängen ist ein Betrieb wie zur Rush Hour in der Pariser Metro. Aussteller und Besucher aus 170 Nationen, darunter 72 Vertreter regionaler und nationaler Regulierungsbehörden. Was mögen Vertreter deutscher Regulierungsbehörden – ja, einige waren da – denken, wenn sie diese Wucht der internationalen Unterhaltungsindustrie erleben? Ob sich irgendjemand fragt, warum das alles, oder besser gesagt fast alles, an Deutschlands Wirtschaft und Unternehmen vorbei geht?

Angefangen hat es schon Mitte der 80er des vergangenen Jahrhunderts. Damals hat man per Jugendschutzgesetz Videospiele weitgehend aus der Öffentlichkeit verbannt und vielerorts mit verrückten Vergnügungssteuern belegt. Für manches Aufstellunter-nehmen, das stark in dem Bereich investiert hatte, ein enteignungsgleicher Eingriff. Die nächste Welle gegen das Unterhaltungsspiel rollte wenig später mit dem Mehrwertsteuer-Multiplikator gegen das Geldspiel. Bis der EuGH 1994 einen Schlusspunkt setzte, waren mehrere mittelständische Hersteller und Händler in die Insolvenz getrieben worden. Und als das Recht der Spielhallen der Kompetenz der Länder 2006 zugeschlagen wurde, rollte die nächste Welle an. Sie führte zur massiven Rechtszersplitterung des Spielhallenrechts. Flickenteppich ist eine harmlose Bezeichnung dafür. Die Föderalismusreform sollte die Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern verbessern, führte aber zu einem ungeahnten Rechtschaos.

Der paternalistische Staat konnte sich je nach Landesregierung in 16 Ländern immer anders austoben. Als Folge wurde die Automatenwirtschaft mit gesetzlichen Regelungen überschwemmt. Viel Arbeit und Geld muss die Branche seither aufwenden, um in Landerparlamenten Gehör zu finden – längst nicht immer mit Erfolg. Kenner schätzen, dass die Automatenwirtschaft erneut um ca. ein Drittel ihrer Möglichkeiten und Wirtschafskraft beraubt wurde. Eine Geschichte über Jahrzehnte, die zeigt, wie man einen ganzen Wirtschaftszweig in die Knie zwingen und von internationalen Entwicklungen weitgehend abkoppeln kann. Wen wundert es, dass man als Deutscher mit offenstehendem Mund und staunenden Augen durch die Ausstellungshallen der ICE in Barcelona geht. Überall sieht man, zu welchen Höhen sich internationales Spieledesign aufschwingen kann, wenn ihm nicht kleinstaatliche und kleingeistige Regelungen den Weg versperren.

Viel wird derzeit diskutiert, welche Aufgaben nach der Bundestagswahl dringend angegangen werden müssen. Von Wirtschaft, Migration und Wehrhaftigkeit ist oft die Rede. Ich denke, was auch dringend geboten ist, das ist eine erneute Föderalismusreform, die ihren Namen verdient. Sie tut an allen Ecken und Enden Not. Im Bildungswesen, in Sachen Mehrfachregulierung in Justiz und Verwaltung, sogar im Beamtenrecht, in Sachen Digitalisierung – oder sagen wir besser IT-Debakel und und und. Die heilige Kuh Föderalismus will niemand schlachten, sie muss aber wieder laufen lernen – und zwar schnell. Wenn Kommunen, Länder, Bund und Europa regeln, dann türmt sich die Regulierung zu einem unbezwingbaren Berg. Da gilt es nach der Wahl aufzuräumen. Gelingt das nicht, steigt die Unzufriedenheit und macht Kräfte stark, die in Sachen Wirtschaft nun wirklich keine Ahnung haben, geradezu dämlich sind – zu unser aller großem Schaden.

Manfred Schlösser
Verleger games & business
schloesser@gamesundbusiness.de