01.08.2024
Rückzahlung von Sportwettverlusten: „Der EuGH wird es richten müssen“
Lange wurde die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Tipico-Verfahren um die Rückzahlung von Verlusten aus Sportwetten erwartet. Am 25. Juli verkündete das Gericht: Die Frage, ob die Dienstleistungsfreiheit eines Sportwettenanbieters einer Erstattung der im Rahmen unerlaubter Online-Sportwetten erlittenen Verluste von Spielern entgegensteht (Az. I ZR 90/23), wird dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Das Verfahren ist bis zur Klärung der Frage ausgesetzt. Im Interview mit games & business ordnet Rechtsanwalt Michael Schmittmann, Partner der Kanzlei Heuking in Düsseldorf, die Entwicklungen ein und erklärt, warum er den Vorlagebeschluss des BGH begrüßt.
Was genau hat der BGH entschieden?
Der BGH führt aus, dass er von der Nichtigkeit eines zivilrechtlichen Sportwettvertrages zwischen einem in Deutschland ansässigen Wettkunden und einem auf Malta ansässigen Sportwettanbieter ausgeht, weil – und nur weil – das maltesische Unternehmen zwar eine Zulassung in Deutschland nach dem Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) 2012 beantragt, aber noch nicht erlangt hatte. Neben diesem formellen Manko sieht der BGH aber keinen materiellen Verstoß gegen deutsches Recht. Der EuGH soll nun klären, ob die Dienstleistungsfreiheit nach EU-Recht dem Verdikt der Nichtigkeit des Vertrages entgegensteht und ob deshalb der verlorene Einsatz nicht zurückzugewähren ist.
Wie schätzen Sie diesen Vorlagebeschluss ein?
Zu Recht fragt der BGH den EuGH, statt selbst zu entscheiden. Denn die Frage, wie sich das vorrangige Unionsrecht auf die hiesige Rechtsanwendung auswirkt, ist bislang vom EuGH im „Ince“-Urteil nur auf der verwaltungsrechtlichen Ebene bejaht worden. Noch nicht entschieden ist, ob dies auch auf zivilrechtliche Verträge durchschlägt. Damit hätte der BGH, ohne den EuGH zu befragen, nicht entscheiden dürfen. Ob eine Verletzung der Rechte des Malta-ansässigen Unternehmens aus der Dienstleistungsfreiheit vorliegt oder nicht, hängt davon ab, ob Deutschland den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr durch die Nichtigerklärung der Verträge und die Zusprache von Erstattungsansprüchen beschränken darf. Dies ist nur zulässig, wenn es dafür einen triftigen Grund, ein schützenswertes Allgemeininteresse gibt. Ein schützenswertes Allgemeininteresse wird hier vom EuGH aller Wahrscheinlichkeit nach verneint werden.
Wie kommen Sie zu dieser Bewertung?
In Deutschland wurden bekanntlich auf der Grundlage des Glücksspielstaatsvertrags 2012 nahezu ein Jahrzehnt keine wirksamen Zulassungen für private in- und ausländische Anbieter erteilt. Es wurden aber alle Anbieter geduldet. Es gab keine straf- und verwaltungsrechtlichen Sanktionen. Im Gegenteil hat die TV- und Sportveranstaltungswerbung der geduldeten Sportwettanbieter die Medien und Vereine mit Milliarden finanziert. Nach neuem Recht hat der maltesische Anbieter eine Zulassung in Deutschland erhalten. Er hat zuvor keine inhaltlichen, sprich materiellen Rechtsverstöße begangen, auf die sich der Einsatz-Rückforderungsanspruch des Kunden berufen könnte.
Worauf wird der EuGH nach Ihrer Einschätzung inhaltlich abstellen?
Nach dem unionsrechtlichen Gebot der Konsistenz mitgliedstaatlicher Beschränkungen wird der EuGH fragen, ob angesichts dieser Rechtslage in Deutschland eine sogenannte widerspruchsfreie Rechtsanwendung zu konstatieren ist. Mit anderen Worten: Hat Deutschland alle Wettangebote im fraglichen Zeitraum auf gleicher Rechtsgrundlage gleichbehandelt und insgesamt dafür gesorgt, dass Internet-Sportwetten nicht ohne Zulassung betrieben werden können? Dies ist zu verneinen. Denn wieso sollte zivilrechtlich Geld für die Tätigkeit zurückzugewähren sein, die materiell-rechtlich sauber war, die vom deutschen Staat und seinen Behörden geduldet wurde und für die nur aufgrund eigener rechtlicher Unzulänglichkeiten Deutschlands keine Zulassung erteilt werden konnte?
Sie sehen also keine Grundlage für die Rückstattungsansprüche der Spieler?
Der Spieler hat nicht durch das Zulassungsmanko Geld verloren, sondern weil seine Wette danebengegangen ist. Das Vertrauen auf die formelle Rechtmäßigkeit des Angebotes ist hier – anders als beispielsweise in den VW-Diesel-Fällen – nicht kausal für den Vermögensverlust. Vielmehr fehlte es nur an einer Formalität.
Die Ministerpräsidenten der Bundesländer waren klug genug, für den Zeitraum weniger Monate zwischen der Annahme des neuen Glücksspielstaatsvertrages 2020 und seinem Inkrafttreten ausdrücklich zu erklären, dass gegen bestehende Wettangebote, die nach altem Recht nur geduldet waren, nach neuem Recht aber auf baldige Zulassung hoffen konnten, nicht vorgegangen werden darf. Der EuGH wird es nun richten müssen.
Bild: Michael Schmittmann, Partner der Kanzlei Heuking, ordnet die BGH-Entscheidung ein. © Michael Schmittmann